Krise der Solidarität: Die humanitäre Krise ist eine politische Krise

Krise der Solidarität: Die humanitäre Krise ist eine politische Krise

Quelle:   EVM - Evangelische Mission Weltweit

In einer Fernsehdebatte über das Elend in Flüchtlingslagern haben Sie auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam gemacht, die dort immer noch herrschen. Was muss geschehen, damit die Situation in den Lagern verbessert werden kann, bzw. gar nicht erst entsteht?

Das Leid auf den ägäischen Inseln könnte sofort beendet werden, indem die Lager evakuiert und die Menschen endlich in menschenwürdige Unterkünfte gebracht werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass schutzsuchende Menschen – darunter viele Familien, Kranke und Kinder – mitten in Europa hinter Zäunen, in Zelten und im Schlamm leben müssen. Da sind alle beteiligten Akteure gefragt, allen voran die griechische Regierung. Im zweiten Schritt müssten die Menschen auf weitere EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden, um Griechenland mit dieser Aufgabe nicht alleine zu lassen. Überall in Europa haben sich beispielsweise Städte und Kommunen bereiterklärt, mehr Schutzsuchende aufzunehmen. Allein in Deutschland gibt es mehr als 200 solcher Städte, die helfen wollen. Warum sie nicht helfen dürfen oder wenn, dann nur ganz wenige Flüchtlinge europäisch verteilt werden? Hinter der humanitären Krise steht im Grunde eine politische Krise, eine Krise der Solidarität in Europa. Kaum ein Staat will Verantwortung übernehmen und helfen, weil es die Sorge gibt, dadurch könnten noch mehr Flüchtlinge kommen. So setzen die Regierungen der EU-Staaten auf Abschottung und Abschreckung – oft gegen jedes geltende Recht. Solange dem so ist, befürchte ich sehr, dass die Not, Verelendung und Rechtlosigkeit weitergeht – ob in Griechenland, auf dem Mittelmeer, dem Balkan und andernorts entlang der EU-Außengrenze.
 
Sie fordern, dass Europa mehr Menschen aufnimmt als bisher. Warum tut sich die Politik so schwer mit dieser Forderung?

Die Debatte um Migration, Flucht und Vertreibung polarisiert enorm – das haben wir in den vergangenen Jahren auch im eigenen Land erlebt. Menschen haben Fragen, Sorgen oder Ängste, es halten sich hartnäckig viele Vorurteile. Anstatt aufzuklären und wirksame Regelungen zu schaffen, wird in der Politik diese Stimmung leider allzu oft für populistische Stimmungsmache in eigener Sache genutzt. Ressentiments werden zur Ressource von politischer Macht. Das vergiftet die öffentliche Debatte und gipfelt in offenem Fremdenhass und Nationalismus, macht aber vor allem jede sachliche Diskussion unmöglich. Und die eigentlichen Fragen werden so erst recht nicht gelöst. Ich glaube, wir könnten in Deutschland, in Europa viele große Aufgaben – von Klima und Nachhaltigkeit bis Flüchtlingsschutz – ganz anders gestalten, wenn wir das erkennen würden. Und wenn wir verstehen, wie reich beschenkt wir von dieser Welt werden – aber wir eben nicht nur nehmen können. Gott sei Dank gibt es unzählige Menschen, die das auch wissen und sich in diese Richtung einsetzen.
 
Was könnten die Kirchen in Deutschland in Zusammenarbeit mit den Partnerkirchen in den Ländern des Südens tun, um dort die Fluchtursachen zu bekämpfen?

Gemeinsam mit anderen Kirchen weltweit können wir eine starke Stimme sein für Frieden und Gerechtigkeit, können Missstände anprangern oder uns auch für das große Friedenspotenzial einsetzen, das es interreligiös zwischen den Religionen der Welt gibt. Wenn wir uns die politischen Wirklichkeiten unserer Zeit anschauen, meine ich, dass solche Partnerschaften über Kontinente hinweg heute vielleicht wichtiger sind denn je – genauso wie die internationalen ökumenischen Kirchengemeinschaften, der Ökumenische Rat der Kirchen beispielsweise. Wer einmal durch Partnerkirchen im Süden die Perspektive gewechselt hat, beginnt zu begreifen: Es kann nicht nur um Unterstützung oder Spendenaufrufe für einzelne Projekte gehen, sondern es geht um viel, viel mehr. Flucht und Migration hat Gründe, die auch mit unserer eigenen Lebensweise, mit unserem Konsum in Deutschland zu tun haben. Dann wird das Thema zum Blick in den Spiegel und zu einer Frage der Selbstverpflichtung. Was können wir bei uns ändern? Wo stehen wir für Klimaschutz ein und für Veränderung, damit anderswo Menschen in Würde leben können? An welcher Stelle muss unsere eigene Kirche anders werden? Auf solche Fragen aufrichtige Antworten zu finden, gehört für mich auch absolut wesentlich zum Thema Partnerschaften in der internationalen Ökumene.

Das Interview führte Freddy Dutz.

 

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