So vielfältig wie das Land

Razak Minhel (hinten, 3. von rechts), organisiert die Interkulturelle Woche in Dessau-Roßlau.
So vielfältig wie das Land
Organisator*innen der IKW berichten aus der Praxis und geben Tipps für ein gutes Gelingen
Protokoll: Steffen Blatt

In über 500 Städten, Gemeinden und Kreisen stellen jedes Jahr unzählige haupt- und ehrenamtlich tätige Menschen die Interkulturelle Woche auf die Beine. Wie sie das tun, wie sie "ihre" IKW vorbereiten, organisieren und umsetzen, ist so unterschiedlich wie die vielen Veranstaltungsformate: Mal gibt es einen ganzen Organisationskreis, mal sind es wenige Personen, bei denen die Fäden zusammenlaufen, mal nur eine Person. Für unser Materialheft haben wir uns in ganz Deutschland umgehört und  uns von sieben Frauen und Männern erzählen lassen, wie sie es machen und welche Tipps sie anderen Veranstaltenden geben können. Hier ein Beispiel:

 

Dessau-Roßlau

"Das Thema 'Gutes Zusammenleben' ist wichtig"

Razak Minhel hat in den 1980er Jahren in der DDR studiert und ist in Dessau geblieben. Seit 1993 leitet er dort das Multikulturelle Zentrum und genauso lange koordiniert er die Interkulturelle Woche in der Stadt, die 2007 mit Roßlau zu einer Doppelgemeinde fusionierte.

"Ich habe 1989/90 die Wende in Dessau miterlebt, mit den Montagsdemonstrationen und dem großen Umbruch nach der Wiedervereinigung. Leider musste ich später auch die ersten »Ausländer raus!«-Rufe miterleben. Die Welle der Ausländerfeindlichkeit zu Beginn der 1990er Jahre war auch ein Grund, in Dessau eine Interkulturelle Woche zu organisieren. Wir haben mit zwei, drei Veranstaltungen begonnen und dann immer mehr Kooperationspartner ins Boot geholt.

Heute freue ich mich, dass wir die Interkulturelle Woche gemeinsam mit der Stadt organisieren, das Integrationsbüro unterstützt uns sehr. Wir haben 2018 mit unseren Veranstaltungen wieder ein großes Spektrum abgedeckt: Sport, Begegnungen, politische Themen, Bildung und Kultur. Sehr positiv war, dass wir wieder neue Veranstalter im Boot hatten, etwa das Bauhaus Dessau und das Theater. Andere, wie die Jüdische Gemeinde, sind von Anfang an dabei. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass sich die Gewerkschaften und die Kirchen wieder mehr beteiligen, wie das früher schon einmal der Fall war. Oft hängt das am Engagement von Einzelpersonen – und wenn die weg sind, lässt der Kontakt nach oder es werden neue Prioritäten gesetzt.

Wir versuchen, während der Interkulturellen Woche von Jahr zu Jahr immer Themen zu behandeln, die auf kommunaler Ebene interessieren. In Dessau-Roßlau haben wir seit der Wiedervereinigung viele Einwohner verloren, die Zahl der Migranten ist gestiegen. Hier wird das Thema 'gutes Zusammenleben' wichtig für die Menschen. Auch ist es ratsam, Geflüchtete als Akteure einzubinden und nicht nur über sie zu reden. Wir haben das 2018 etwa mit der Ausstellung 'Verbindungsstücke zwischen alter und neuer Heimat' gemacht. Dort zeigten 20 Geflüchtete je einen Gegenstand aus ihrer Heimat, der eine besondere Bedeutung für sie hat: ein Foto, ein Kleidungsstück, ein Bild oder ein Stein. Dazu erzählten sie ihre Fluchtgeschichten in Workshops. Die Ausstellung hatte eine große Resonanz in der Öffentlichkeit und den Medien – das hätte ich vorher nicht gedacht, und darum habe ich mich sehr darüber gefreut. Das war eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Museum für Stadtgeschichte. Die Schau soll nun als Wanderausstellung durch Sachsen-Anhalt touren.

Eine tolle Aktion waren auch die Besuche von Menschen mit arabischem Migrationshintergrund in der jüdischen Gemeinde und auf jüdischen Friedhöfen. Außerdem wurde eine gemeinsame Ausstellung von arabischen und jüdischen Künstlern im jüdischen Gemeindezentrum organisiert. Das gab es bei uns zum ersten Mal. Generell eignen sich auch Musik oder Sport als verbindendes Element.

Eine negative Überraschung erlebten wir aber bei unserem Fußballturnier. Dort kam es leider auf dem Platz zu Reibereien zwischen Migrantengruppen. Gerade viele Jugendliche haben Probleme, und das hat sich bei dieser Gelegenheit leider in Aggression geäußert.

Dass ich auch Mitglied im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche bin, hat Vorteile für die Organisation vor Ort. So bekomme ich wichtige Entscheidungen aus erster Hand mit. Auch die Vorbereitungstagung ist immer eine Bereicherung für mich. Da bringe ich ganz oft Ideen für uns mit nach Hause. Außerdem kann man sich mit anderen Akteuren austauschen und erfährt, was in anderen Bundesländern so läuft.

Mindestens ebenso wichtig für die Planung und Koordination einer Interkulturellen Woche ist das Netzwerk vor Ort. Ich war nach der ersten demokratischen Wahl fünf Jahre Mitglied des Stadtrates von Dessau und sieben Jahre lang ehrenamtlicher Ausländerbeauftragter der Stadt. Auch dadurch habe ich gute Kontakte zu Migrantenorganisationen und zum Integrationsbeauftragten der Stadt geknüpft.

Im Rahmen der Interkulturellen Woche 2019 wird uns sicherlich auch das Thema Rechtspopulismus weiter beschäftigen. Vorurteile und Ressentiments gegen Menschen mit Migrationshintergrund, die mitunter auch in Diskriminierung und Gewalt ausarten können, gehen mit dem Erstarken des Rechtspopulismus konsequent einher. Dies müssen wir leider auch in einer kleinen Stadt wie der unseren erleben. In Dessau-Roßlau gibt es jetzt mehr junge Frauen mit Kopftuch – das ist etwas Neues für uns. Leider ist es schon vorgekommen, dass diese Frauen bespuckt wurden oder dass man ihnen das Kopftuch heruntergerissen hat. Hier muss man vermitteln, Begegnungen schaffen und aufklären. Die Interkulturelle Woche bietet hierzu eine besondere Möglichkeit, wodurch Vorurteile abgebaut und neue Kontakte entstehen können."

Weitere Informationen

Dieser Artikel ist im Materialheft zur Interkulturellen Woche 2019 erschienen. Das Heft können Sie hier bestellen.