"Antiziganismus" – (K)ein Thema für die Interkulturelle Woche?

"Antiziganismus" – (K)ein Thema für die Interkulturelle Woche?
Sinti und Roma sind ein fester Bestandteil der Gesellschaft – Wie werden sie sichtbar, fernab von Vorurteilen und Klischees?
Francesco Arman

Stereotype und Vorurteile gegenüber Sinti und Roma entspringen tradierten und reproduzierten Mustern. Sie haben sich über die Jahrhunderte immer mehr verfestigt und zu einem Feindbild verdichtet. Die meisten Menschen aus der Mehrheitsbevölkerung haben auf irgendeine Art und Weise eine Meinung zu Sinti und Roma (meistens negativ, manchmal aber auch romantisierend) und kennen den Begriff "Zigeuner", der aufgeladen ist mit meistens negativen Stereotypen.

Aber wer ist befreundet mit Sinti und Roma? Oder hat schon einmal die Gastfreundlichkeit von Sinti und Roma kennengelernt? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn ich mich als deutscher Sinto zu erkennen gegeben habe, ich mit einer Flut von Stereotypen und Halbwahrheiten konfrontiert wurde, die aus Fragen und festen Meinungen bestanden. Diese Meinungen sowie Stereotype verflüchtigten sich ganz schnell, wenn ich als Francesco Arman in meiner Individualität als Mensch wahrgenommen wurde. Mit all meinen Stärken und Schwächen, die jeder Mensch individuell besitzt.

Klischees dekonstruieren

Der "Antiziganismus" drängt Sinti und Roma in die Anonymität. Dies gilt für die meisten deutschen Sinti und Roma sowie für die neu dazugekommenen Roma aus Osteuropa. Das macht die "Antiziganismus"-Arbeit nicht einfacher. Denn dieses Abdrängen betrifft die Minderheiten, die sich gesellschaftspolitisch gegen diese Form des Rassismus engagieren, und ebenso Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft, die sich stark für eine solidarische Gemeinschaft einsetzen. Gerade deswegen sind Workshops wie derjenige zum Thema "Antiziganismus – (K)ein Thema für die Interkulturelle Woche" bei der Vorbereitungstagung so wichtig. Denn wir Referentinnen und Referenten kommen aus der Minderheit und können gängige Klischees über Sinti und Roma mit den Teilnehmer*innen aufarbeiten. Wir dekonstruieren die Klischees nicht nur anhand der Inhalte, sondern auch als Personen, als Referierende. Wir gehen selbstverständlich mit unserer Interkulturalität um und zeigen, dass wir mit unseren Persönlichkeiten auch nur ganz "normale" Menschen sind.

Sichtbar machen

Im Rahmen von Interkulturalität, Diversität und Inklusion sind wir Sinti und Roma ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft. Wir leben hier und gestalten wie alle anderen Menschen die Gesellschaft mit. Wir sind ein Teil dieser diversen Gesellschaft, und es ist wichtig, dass wir sichtbar gemacht werden fernab aller Vorurteile. Zudem ist es wichtig, dass wir selbst uns sichtbar machen. Der Inklusionsgedanke möchte Benachteiligungen nicht nur abbauen, sondern die Gesellschaft mitsamt ihren Institutionen so gestalten, dass alle Menschen gleichermaßen partizipieren können. Dies passiert aber nicht von alleine, sondern es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung. Damit meine ich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch das politische Geschehen. Inklusion kann nur dann gelingen, wenn wir alle Menschen inkludieren. Die Inklusion kann sich auf Alter, Beeinträchtigung, Geschlecht, sozialen sowie ökonomischen Status, Herkunft und Hautfarbe beziehen. Darum ist es auch so wichtig, dass gesamtgesellschaftlich gegen Rassismus vorgegangen wird, um das Konstrukt des vormodernen archaischen "Zigeuners" zu dekonstruieren. Daher ist es auch notwendig, dass wir uns als Gesellschaft gegen jede Form von Diskriminierung stark machen, die Ungleichheiten in unserer Gesellschaft aufzeigen und ihnen entgegenwirken.

Meinung mitbilden

Durch den Zentralrat der Sinti und Roma wurde schon viel und gute Aufbauarbeit seit den 1980er Jahren geleistet. Dadurch bestärkt haben sich viele Landesverbände und Sinti/Roma-Selbstorganisationen gebildet. Unter anderem auch der Studierendenverband der Sinti und Roma. Dies ist eine gelebte Form der Emanzipation, sie lebt von ihren Ideengeber*innen, die sich der Aufklärungsarbeit über uns Sinti und Roma verschrieben haben. Um einen authentischen Blick auf das Leben der Sinti und Roma zu bekommen, ist es wichtig, dass wir selbst mit Workshops, Referaten, Kunst und Kultur Bildungsarbeit leisten. Denn sie entspringt unserer Community. Da sich viele Menschen über uns Sinti und Roma eine Meinung gebildet haben, wollen wir gerne mitbilden. Denn eine gemeinsame Gestaltung geschieht nur im Miteinander und auf Augenhöhe.

Bildung geschieht auch dadurch, dass ich mir ein Bild von meinem Gegenüber mache und mich empathisch darauf einlasse. Bildung bedeutet für uns (unter anderem) die Förderung einer gedanklichen Auseinandersetzung mit der ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebenswelt von Sinti und Roma. Denn wir sind genauso divers wie die Mehrheitsgesellschaften, in denen wir leben. Wir kommen zwar ursprünglich aus Nord-West-Indien, haben aber in den jeweiligen Ländern kulturelle Aneignungsprozesse durchlaufen und sind gar nicht so fremd, wie wir oft von Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden. Viele Menschen wollen uns meines Erachtens auch so wahrnehmen.

Sinti und Roma sind benachteiligt und erleben immer noch Diskriminierung. Wir als Studierendenverband haben es uns nicht nur zur Aufgabe gemacht, Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft abzubauen, sondern gerade auch in unsere Community hineinzuwirken. Wir möchten jungen Sinti und Roma Perspektiven aufzeigen und sie dazu ermutigen, ein Studium aufzunehmen, oder wir unterstützen sie in ihrem Studium. Wir wollen Lebensentwürfe von Sinti und Roma mitgestalten und Vernetzungsarbeit leisten.

Denn Bildung darf nicht allein vom sozialen und ökonomischen Status abhängig sein.

Weitere Informationen

Francesco Arman
Foto: privat

Francesco Arman ist Stadtrat in Gießen, Pädagoge für frühkindliche Bildung, Betriebsratsmitglied und Vorsitzender des Studierendenverbandes der Sinti und Roma in Deutschland.
Kontakt: francesco.arman@svsrd.de